- Moral ist das, was ein friedliches Zusammenleben zwischen Menschen ermöglicht.
- Doch wie entwickelt sich die Moral bei uns Menschen? Moralentwicklung ist ein Teilbereich der Entwicklungspsychologie.
- Mit dem Heinz-Dilemma nach Kohlberg kannst du erkennen, auf welcher Stufe der Moralentwicklung du bist.
In Zeiten von Donald Trump, Jair Bolsonaro und Attila Hildmann wird uns klar, dass Moral ein – sagen wir – dynamischer Begriff ist. Donald Trump (falls dieser Mann denn überhaupt Gefühle hegen kann) findet es unmoralisch, wenn schwarze Menschen auf die Straßen seines weißen Amerikas gehen, um gegen Polizeigewalt zu demonstrieren. Jair Bolsonaro sieht sich im moralischen Recht, wenn er Urwälder abholzt und indigene Völker massakriert, um die brasilianische Wirtschaft zu pushen. Und für Attila Hildmann gibt es nichts Unmoralischeres, als einen Mund-Nasen-Schutz in der Öffentlichkeit zu tragen, da (Zitat Hildmann): „Maske ist das neue Hakenkreuz???“. [Zugegeben: Attilas Anti-Corona-Argumentation ist noch nicht ganz ausgereift – aber ich hab‘ gehört, der kann super kochen! Und sogar alles vegan!]
Moral ist also ein dynamischer Begriff und Moralverständnis kann sich von Person zu Person unterscheiden. Doch warum ist das so? Wie entwickelt sich die Moral beim Menschen? Wird unser Moralverständnis von der Umwelt oder gar unserer „Kultur“ beeinflusst; oder erben wir ein genetisches Moralverständnis unseren Eltern? Und was ist überhaupt Moral verdammt noch mal? Und was unterscheidet sie von der Ethik? Ist es gerechtfertigt über die oben genannten Personen zu urteilen, nur weil ich eine andere Auffassung von Moral habe?
Viele Psychologende beschäftigen sich mit dem spannenden Thema der Moralentwicklung beim Menschen. Der wohl berühmteste Forscher der Moralentwicklung heißt Lawrence Kohlberg. Dieser hat mit seinem berühmten „Heinz Dilemma“-Gedankenexperiment verschiedene Stufen der Moralentwicklung definiert, die ein Mensch durchleben kann. Was denkst du: Auf welcher Stufe befindest du dich?
Was ist „Moral“ und wieso handeln wir danach?
Zunächst sollten wir erst einmal den Begriff „Moral“ definieren. Ein Blick in den Duden verrät, dass Moral als die „Gesamtheit von ethisch-sittlichen Normen, Grundsätzen, Werten, die das zwischenmenschliche Verhalten einer Gesellschaft regulieren, die von ihr als verbindlich akzeptiert werden“ definiert wird. Moral ist also das, was ein Sozialleben ermöglicht, eine Art Verhaltenskodex für uns Menschen.
….These THUGS are dishonoring the memory of George Floyd, and I won’t let that happen. Just spoke to Governor Tim Walz and told him that the Military is with him all the way. Any difficulty and we will assume control but, when the looting starts, the shooting starts. Thank you!
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) May 29, 2020
Bei Moral geht es also um Sitten, die in einer Gesellschaft anerkannt sind. Wenn allerdings eine Gesellschaft so gespalten ist, wie die Vereinigten Staaten, kann ein Verhalten von der einen Hälfte der Bevölkerung als moralisch und von der anderen Hälfte als unmoralisch angesehen werden. Der berühmte Psychologe Kohlberg sagt allerdings, dass es bei der Moralentwicklung nicht unbedingt darum geht, was der Mensch als moralisch betrachtet; sondern vielmehr, wie er sein Moralverständnis begründet. Hierzu gibt es ein kleines Gedankenexperiment: Das Heinz-Dilemma.
Das „Heinz Dilemma“: Die Stufen der Moralentwicklung
Das Heinz Dilemma ist ein bildhaftes Beispiel, was du vielleicht schon von damals aus dem Ethikunterricht kennst. Lawrence Kohlberg nutzte eine leicht abgewandelte Version, die er Kindern im Alter von 10 bis 16 vorlas, um deren Reaktion zu studieren. Später befragte er zusätzlich jüngere Kinder, Straftäter und Kinder aus anderen Städten und Ländern. Kohlbergs Version des Heinz Dilemmas lautet wie folgt:
Eine Frau in Europa war sehr krank und lag im Sterben. Es gab zwar ein Medikament, von dem ihre Ärztin überzeugt war, dass es ihr helfen würde. Glücklicherweise hatte ein Apotheker aus derselben Stadt den vielversprechenden Wirkstoff erst vor einigen Wochen entdeckt. Allerdings gab es da ein kleines Problem.
Der Wirkstoff des Medikaments, Radium, war sehr teuer und der Apotheker ließ sich die Herstellung auch gut bezahlen: Während er 200 Euro für 1 Gramm Radium zahlte, verkaufte er ein 0,1 Gramm seines Medikaments für 2.000 Euro. Heinz, der Ehemann der kranken Frau, klapperte völlig verzweifelt all seine Freunde, Verwandte und Nachbarn ab, um sich Geld für die Radium-Therapie seiner Frau zu leihen. Doch Heinz kannte nicht viele wohlhabende Menschen und schlussendlich konnte er bloß 1.000 Euro zusammentrommeln. Früh am nächsten Tag ging er zu dem Apotheker und erklärte ihm, dass seine Frau im Sterben lag und er all seine Hoffnung in das neue Medikament setzte. Doch als Heinz dem Apotheker erklärte, dass er nur die Hälfte des Preises bezahlen konnte, wandte sich der Apotheker ab und sagte: „Nein. Ich habe das Medikament entdeckt und ich werde damit Geld verdienen.“ Selbst als Heinz ihm versprach, dass er es ihm später zurückzahlen würde, blieb der Apotheker standhaft, sodass Heinz mit leeren Händen Nachhause ging.
Als Heinz abends seine todkranke Frau pflegte, wuchs die Verzweiflung in ihm. Heinz war eigentlich ein rechtschaffener Mann, der sich stets um ein friedliches Zusammenleben mit seinen Mitmenschen bemühte. Doch die Ausweglosigkeit trieb Heinz in eine Sackgasse und so entschloss sich Heinz noch in derselben Nacht bei dem Apotheker einzubrechen, um das Medikament zu stehlen.
Was denkst du? Sollte Heinz das Medikament aus dem Labor des Apothekers stehlen? Wie begründest du deine Antwort?
Die „Lösung“ des Heinz Dilemmas: Auf welcher Stufe bist du?
Spoiler Alert: Es gibt keine „richtige“ Antwort beim „Heinz Dilemma“. Sorry für die Enttäuschung. Für Kohlberg ging es auch weniger darum, was seine Probanden antworten, sondern wie sie ihre Antworten begründeten. Kohlberg befragte viele Personen und subsumierte ihre Antworten in sechs Stufen der Moralentwicklung:
- Stufe: Orientierung an Strafe und Gehorsam
- Stufe: Orientierung am Kosten-Nutzen-Prinzip
- Stufe: Orientierung an wechselseitigen, zwischenmenschlichen Erwartungen und Beziehungen
- Stufe: Orientierung an sozialen Systemen, Gesetz und Ordnung
- Stufe: Orientierung an einem sozialen Vertrag und individuellen Rechten
- Stufe: Orientierung an universellen ethischen Prinzipien
Hierbei fallen Stufen 1. und 2. in die Präkonventionelle Ebene; Stufen 3. und 4. in die Konventionelle Ebene; und Stufen 5. und 6. in die Postkonventionelle Ebene. Mit steigendem Alter durchleben Menschen diese sechs Stufen der Moralentwicklung – allerdings erreicht nicht jeder Mensch dabei die höchste Stufe. Für das „Heinz Dilemma“ ergeben sich somit 12 Antwortmöglichkeiten, die du der Tabelle entnehmen kannst:
Ebene | Stufe | Heinz sollte das Medikament stehlen, weil… | Hein sollte das Medikament nicht stehlen, weil… |
Präkonventionell | 1. Strafe und Gehorsam | Das Medikament ist nur 200 Euro wert und nicht 2.000 Euro. Heinz hätte nichts anderes aus dem Labor gestohlen und hätte sogar für das Medikament bezahlt. | Heinz müsste ins Gefängnis und somit wäre er ein schlechter Mensch. |
Präkonventionell | 2. Kosten-Nutzen-Prinzip | Heinz wäre glücklich, wenn er seine Frau retten könnte, selbst wenn er dafür ins Gefängnis müsste. | Gefängnis ist ein beschissener Ort und die Haftstrafe würde Heinz mehr belasten als der Tod seiner Frau. |
Konventionell | 3. Erwartungen und Beziehungen | Die Ehefrau ewartet von Heinz, dass er es stiehlt und er möchte ein guter Ehemann sein. | Stehlen ist schlecht und Heinz ist kein Verbrecher. Er hat den legalen Weg vollständig ausgeschöpft – er trägt also keine Schuld. |
Konventionell | 4. Gesetz und Ordnung | Seine Frau würde davon profitieren, aber Heinz sollte trotzdem für seine Straftat büßen und ins Gefängnis gehen. Außerdem muss er dem Apotheker das Geld zurückzahlen. Verbrecher dürfen nicht einfach frei herumlaufen. | Stehlen ist gegen das Gesetz. |
Postkonventionell | 5. Sozialvertrag und individuelle Rechte | Leben steht immer über dem Gesetz. | Der Apotheker hat das Recht für seine Arbeit entlohnt zu werden. |
Postkonventionell | 6. Universelle ethische Prinzipien | Ein Menschenleben hat mehr Wert als das Eigentumsrecht einer anderen Person. | Andere Personen könnten das Medikament genauso dringend benötigen und ihr Leben hat denselben Wert wie das der Frau. |
Moralentwicklung und das Heinz Dilemma: Die 6 Stufen erklärt
Die sechs Stufen in Kohlbergs moralische Stufenentwicklung sind in drei Kategorien unterteilt: Präkonventionell (Stufe 1. und 2.); Konventionell (Stufen 3. und 4.); und Postkonventionell (Stufen 5. und 6.). Diese 6 Stufen sind nicht nur auf das Heinz Dilemma anwendbar, sondern sind (laut Kohlberg) allgemeingültig.
Menschen die sich in Stufe 1. der moralischen Entwicklung befinden, orientieren sich an Strafe und Gehorsam. Konkret bedeutet dies, dass Verhalten daran gemessen wird, was Autoritäten vorgeben. Grundsätzlich wollen Menschen Strafen vermeiden und angenehme Konsequenzen erleben. Die Stufe 2 orientiert sich am Kosten-Nutzen-Prinzip: Solche Menschen wägen ab, was ein bestimmtes Verhalten bewirken könnte. Diese Personen helfen einem anderen Menschen nur, wenn es sich für sie selbst lohnt. Die Verhaltensweisen der Stufen 1. und 2. sind üblich bei Kindern bis zum 9. Lebensjahr, bei einigen Jugendlichen und bei erwachsenen Straftätern.
Der Großteil der Jugendlichen und Erwachsenen befinden sich in der Konventionellen Ebene – also in den Stufen 3. und 4. Menschen, die sich in der 3. Stufe befinden, orientieren sich an zwischenmenschlichen Erwartungen und Beziehungen. Die Motivation für ihr Handeln wird schlagartig komplexer, als in der Präkonventionellen Ebene: Solche Menschen empfinden Handeln als „richtig“, wenn es denn die Erwartungen nahestehender Personen erfüllt. „Richtiges“ Verhalten wird also als solches angesehen, wenn es sozial akzeptiert und konventionell ist.
Die 4. Stufe orientiert sich an sozialen Systemen, Gesetzen und Ordnung: Hier erkennen Menschen, dass die Gesellschaft nur durch das Einhalten von bestimmten Regeln funktionieren kann. Das Einhalten dieser Regeln wird im Umkehrschluss als „moralisches“ Verhalten angesehen, da damit der Erhalt der sozialen Ordnung gefördert wird.
Obwohl die Meisten in der Konventionellen Ebene der Moralentwicklung verharren, gibt es trotzdem einige Menschen, die sich loslösen und ein Moralverständnis entwickeln, das sich auf höhere Prinzipien beruft. Stufe 5. ist das erste Level der Postkonventionellen Ebene und orientiert sich an einem sozialen Vertrag und individuellen Rechten. Solche Menschen beurteilen „richtiges“ Verhalten nach allgemeinen Regeln, die dem Allgemeinwohl dienen. Dabei werden aber auch stets die individuellen Rechte jedes Einzelnen berücksichtigt: Eine Gesellschaft, die dem Allgemeinwohl dient, aber die Rechte von Individuen mit Füßen tritt [looks at China] kann unmoralisch sein. Personen in der 5. Stufe wägen verschiedene Regeln und Perspektiven ab und entscheiden dann, was sie für moralisch erachten.
Die letzte Stufe in Kohlbergs Stufenmodell der Moralentwicklung ist die Stufe 6: Menschen in dieser Stufe orientieren sich an universellen ethischen Prinzipien – Kategorischer Imperativ und so. In dieser Stufe verpflichtet sich der Mensch immer nach allgemeinen ethischen Prinzipien zu handeln: Verhalten ist dann moralisch, wenn es nicht nur für eine Person gilt, sondern für alle Menschen.
Jahre nachdem Kohlberg seine Theorie präsentiert hatte, mutmaßte er, dass es noch eine 7. Stufe geben könnte: In dieser Guru-Stufe fällten Menschen moralische Urteile nach transzendentalen Begründungen. Jesus, Buddha, Ghandi und Chuck Norris seien einige wenige, die es in diese Ebene der universellen Liebe geschafft hätten.
(mw)
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