Angst in der Neurowissenschaft – Alles nur Chemie im Kopf?

Angst in der Neurowissenschaft – Alles nur Chemie im Kopf?
  • Angst ist eine grundlegende Emotion des Menschen.
  • Es gibt verschiedene Theorien, die erklären, wieso der Mensch hat Angst hat.
  • Die Neurowissenschaft liefert einige Erklärungen und mithilfe von MRT konnten Forschende viel über Angst lernen.

Was passiert in unseren Köpfen, wenn wir Angst verspüren? Ist das Gefühl der Angst einfach nur eine chemische Reaktion im Gehirn? Dank jüngster technologischer Fortschritte in bildgebenden Verfahren, können Forschende heutzutage untersuchen, was genau in deinem Gehirn abgeht, wenn du dich komisch fühlst. Beispielsweise kann man bei einer Magnetresonanztomographie (MRT) sehen, welche Gehirnareale miteinander kommunizieren, wenn eine Person Angst verspürt.

Lange bevor die ersten Probanden in enge MRT-Röhren geschoben wurden, hatten Forschende die Theorie des limbischen Systems aufgestellt. Im Grunde dachten sie, dass dieses limbische System für Emotionen zuständig ist und dass sich dieses limbische System in den letzten 200 Millionen Jahren nicht wirklich verändert hat. Tatsächlich befindet sich das limbische System im Vorderhirn – was rein evolutionsbiologisch ein ziemlich junger Teil des Hirns ist – und umgibt den viel älteren Hirnstamm. Die Aufgabe des limbischen Systems ist es schnelle Entscheidungen zu treffen, noch bevor wir diese bewusst treffen könnten, damit wir schnell auf eine Situation reagieren können und wissen, welche Emotion angemessen ist.

Nicht weit davon entfernt liegen auch die Frontallappen im Vorderhirn, wo sie wichtige Aufgaben bei der Steuerung von Emotionen übernehmen. Die Frontallappen im Großhirn liegen direkt hinter den Augen und handeln solche Aufgaben, die wir als „menschlich“ bezeichnen: Planen, Entscheiden, Sprache, bewusstes Denken. Dieser Frontallappen reguliert also unsere emotionalen Reaktionen. Doch der Frontallappen muss diese mega-Aufgabe nicht alleine erledigen: Der Hippocampus ist auch am Start und hilft uns dabei, Erinnerungen abzuspeichern und auch wieder abzurufen – was bei emotionalen Reaktionen sehr wichtig sein kann. Denn stell dir vor, du müsstest jede Situation von Grund auf neu interpretieren und könntest nicht auf deine zuvor erlebten Erinnerungen zurückgreifen. Wir wären jedes Mal aufgeschmissen, wenn wir aus dem Haus gehen und nicht wüssten, ob wir dankbar oder wütend sein sollen, wenn wir beim Bäcker Brötchen kaufen.

Die Amygdala und Angst: Das passiert in der Mandel

Ein weiterer wichtiger Player im Gehirn, der Angst in uns auslöst, ist die Amygdala. Die Amygdala besteht aus zwei kleinen mandelförmigen Gewebestücken (Fun-Fact: amygdala ist das lateinische Wort für „Mandelkern“), die weiter unten im Gehirn sitzen. Forschende glauben, dass die Amygdala für Angstreaktionen zuständig ist. Und das gilt für alle Spezies, die eine Amygdala besitzen! Dazu gehören Reptilien, Vögel aber auch Säugetiere. Die Amygdala kann in uns unbewusst Angst auslösen, ohne dass wir wissen, woher die Angst rührt. Und das Sahnehäubchen: Die Amygdala ist super gut mit anderen Teilen des Hirns vernetzt. Der kleine Mandelkern erhält also ständig Informationen über unsere sensorische Wahrnehmung (z.B. Atmung, Blutdruck, Körpertemperatur) und muss gleichzeitig auf Emotionen, wie Angst, klarkommen. Daher kann es auch mal passieren, dass unsere Amygdala einen schnellen Herzschlag als bedrohliche Situation interpretiert und eine Angstreaktion im restlichen Gehirn auslöst. Dies kann so schnell passieren, dass wir nicht einmal wissen, wieso wir überhaupt Angst haben.

Eine schematische Zeichnung des Gehirns mit den wichtigsten Gehirnarealen für Angst.

Der berühmte Neurowissenschaftler, Joseph LeDoux, denkt, dass die Amygdala eine „quick and dirty“-Reaktion in uns auslöst, die uns zunächst zum Handeln bewegt: Wir retten uns aus einer gefährlichen Situation und stellen erst danach Fragen. Im Gegensatz zur „quick and dirty“-Reaktion gibt es auch einen „cleaneren“ Weg der Angst. Hierbei wird sensorische Information über die (für Gedanken zuständige) Frontallappen geleitet, bevor die Informationen in der Amygdala ankommen. Dieser „cleanere“ Weg ist zwar akurater, allerdings auch langsamer als die „quick and dirty“-Reaktion.

Übrigens: Wenn der Neurowissenschaftler, Joseph LeDoux, nicht gerade im Labor ist, steht er mit seiner Rockband „The Amygdaloids“ auf der Bühne. Dort spielt er Gitarre und singt über Neurowissenschaftliche Themen. In diesem Track singt LeDoux über Angst – dieser Nerd.

Angst: Ein komplexes Zusammenspiel im Gehirn

Auch wenn die Amygdala eine super wichtige Aufgabe bei Angst spielt, dürfen wir nicht vergessen, dass jede Emotion das Resultat aus einem übelst komplexen neurologischem Wirrwarr ist. Jede Emotion und jedes Gefühl beansprucht zig Areale im Gehirn und löst Reaktionen aus, von denen selbst die geilsten Neurowissenschaffenden kein Plan haben. Auch neurochemische Reaktionen spielen eine wichtige Rolle bei Emotionen: Beispielsweise schüttet die Amygdala bei Gefahr ein Hormon (Corticotropin-releasing Hormone) aus, was wiederum andere Stresshormone im Körper freisetzt. Wenn die Gefahr dann vorbei ist, kommt die Gamma-Aminobuttersäure (GABA) vorbei und chillt das Gehirn ein bisschen runter.

Doch was geht in den Gehirnen von Menschen vor, die an einer Angststörung, wie bei einer sozialen Phobie, leiden? Naja, kurz gesagt: Keiner weiß es so wirklich. Aber es gibt einige Theorien. Manche Neurowissenschaffende denken, dass eine hyperaktive Amygdala Schuld an einer Angststörung sein könnte. Aber es könnte natürlich auch daran liegen, dass die Frontallappen nicht aktiv genug sind. Oder aber es ist ein beschädigter Hippocampus, der die Erinnerungen nicht richtig einordnen kann und so harmlose Situationen als bedrohlich verkannt werden. Es könnte natürlich aber auch sein, dass es eine hyperaktive Amygdala, ein inaktiver Frontallappen UND ein bekiffter Hippocampus, der sich an nichts mehr so recht erinnern kann.

Es gibt Hinweise, dass chronische Angst und die mit einhergehende chronische Ausschüttung von Stresshormonen, die Gehirnfunktion beeinflussen kann. So könnte es sein, dass das Kurzzeitgedächtnis gestört wird, da der Hippocampus schrumpft. Im Normalfall ist so was reversibel – doch langfristig können irreparable Schäden entstehen. Ob unterdrückte Sexualtriebe eine solche chronische Ausschüttung von Stresshormonen bewirken kann, ist nicht zu genüge erforscht. Falls dies der Fall sein sollte, dann hätte Sigmund Freud mit seinen Theorien der Angst gar nicht mal so Unrecht.

Erklärt die Neurowissenschaft meine Angst?

Vor dem MRT und der Neurowissenschaft konnten Forschende nur darüber spekulieren, was, wie, wann eigentlich im Gehirn funktioniert. Natürlich waren das fundierte Vermutungen – doch am Ende vom Tag, lieferte das MRT die ersten stichfeste Beweise. Bei allem Lobgesang auf das MRT und auf die Neurowissenschaft, müssen wir aber auch vorsichtig sein: Nur weil wir sehen, was genau im Gehirn passiert, heißt das noch lange nicht, dass wir verstehen was in unseren Köpfen abgeht. Die Neurowissenschaft steckt noch in ihren Anfangsschuhen und wir dürfen nicht in Hybris verfallen, nur weil wir ein paar crazy Gehirndiagramme herstellen können.

Es ist klar, dass sich unsere persönliche Experience auf diesem komischen grünen Planeten, der mit 107826,05 km/h durch das All schießt, nicht auf simple Gehirnaktivitäten und -Strukturen reduzieren lässt. Emotionen sind komplizierter als zu sagen: Frontallappen + Amygdala + Hippocampus = Angst. Vielmehr sind sie das Produkt aus unterschiedlichen Ebenen unserer Wahrnehmung, unseres Verhaltens und unserer Kognition.

mw

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