Angst: Entstehung, Symptome & Unterschiede

Angst: Entstehung, Symptome & Unterschiede
  • Angst ist eine der grundlegendsten Emotionen
  • Dabei wird zwischen realer und nicht realer Gefahr unterschieden.
  • Ängste können sich im Kindesalter oder im späteren Leben entwickeln.

Jeder von uns kennt sie. Die meisten von uns hassen sie. Viele wollen sie nicht wahrhaben und dann verdrängen wir sie. Bei einem Bruchteil von uns macht sie ein normales Leben unmöglich. Sie begegnet uns im Alltag, in Träumen, in ungewohnten Situationen, in Krisen. Und wenn ich „sie“ sage, spreche ich nicht von Lady Gaga – sondern ich rede von der Angst. Sie taucht in den unterschiedlichsten Situationen auf und kann uns nerven, blamieren, einschüchtern oder aber schützen. Auf dem 10-Meterturm im Schwimmbad; in der Schlange vor dem Berghain; im Wartezimmer der Notaufnahme; oder sogar vor der eigenen Haustür. Bei einem sorgt die Angst für Herzklopfen, beim anderen für Durchfall. Vor Angst verdirbst du dir vielleicht den Magen, mir sitzt die Angst währenddessen im Nacken. Angst äußert sich in einer Vielzahl von Symptomen und der Ursprung der individuellen Angst ist von Person zu Person unterschiedlich. In diesem Artikel will ich dir etwas über die Angst erzählen, denn Angst ist nicht gleich Angst.

Angst ist so breitgefächert und kompliziert, wie wir Menschen selbst. Wir können Angst haben etwas zu verpassen (#FOMO); wir können Angst haben zu sterben. Wir können Angst haben nicht in den Club zu kommen; wir können Angst haben überfahren zu werden. Wir können Angst haben uns vor anderen zu blamieren; wir können Angst haben unsere Liebsten zu verlieren. Scheiße: Wir können Angst davor haben, Angst zu haben. Glücklicherweise ist ein Großteil der Menschen in der Lage mit ihren Ängsten umzugehen, sie zu erkennen und angemessen zu handeln. Andere wiederum werden von ihren Ängsten gegeißelt. Sie fangen an sich zu verstecken oder werden aggressiv. Die Angst zwingt sie in die Knie und hindert sie daran ein erfülltes Leben zu führen.

Der Unterschied zwischen realer und nicht realer Angst

Angst kann etwas Gutes sein: Sie signalisiert uns, dass eine Gefahr droht und wir reagieren müssen. Wenn vor uns ein hungriger Löwe steht, ist es ziemlich nice, dass wir die Beine in die Hand nehmen, ohne darüber nachzudenken. Aber es ist klar, dass wir in unserem privilegierten Leben im 21. Jahrhundert eher selten solchen gefährlichen Situationen ausgesetzt sind; und trotzdem gibt es immer mehr Menschen, die von Angst geplagt sind. Denn abgesehen von realen Gefahren gibt es auch eine Vielzahl von nicht realen Gefahren, die uns Angst machen. Diese Angst entspringt unserer Vorstellung – und die kann ganz bewusst, aber auch völlig unbewusst entstehen. Alle Situationen im Leben, ja wirklich alles, kann uns Angst machen, „so lange wir einer Person oder einem Ding so viel Macht und Kraft zuschreiben, dass sie über uns überhandgewinnen und uns ängstigen“, wie der Psychiater, Holger Betrand Flöttmann, in „Angst: Ursprung und Überwindung“ schreibt.

Bei vielen Menschen ist die Angst ein Produkt der Phantasie: Die Spinne im dunklen Keller wird dich nicht beißen, geschweige denn umbringen. Du wirst (höchstwahrscheinlich) nicht bei einem Flugzeugabsturz sterben. Barack Obama, Hillary Clinton und Tom Hanks werden nicht deine Kinder entführen, um ihr Adrenochrom zu ernten und als Anti-Aging-Droge verwenden. Du wirst dich nicht mit einer tödlichen Krankheit anstecken nur, weil du nicht alle 15 Minuten deine Hände desinfizierst [Anmerkung der Redaktion: Seit der Coronavirus-Pandemie im Frühjahr 2020 wurde diese These widerlegt. Tragischerweise ist der Autor kurze Zeit nach dem Verfassen diesen Artikels an der Lungenkrankheit Covid-19 verstorben, nachdem er den Handgriff eines Einkaufswagens abgeleckt hat, um seinen Standpunkt zu beweisen].

Reale Angst: Wenn ein hungriger Löwe vor dir steht

Reale Angst (im englischen Sprachraum spricht man hier meist von fear und nicht anxiety) entspringt einer sehr realen Gefahr: Du läufst über die Straße und du siehst einen Linienbus auf dich zurasen. Oder deine Kumpels schubsen dich in das Löwengehege im Zoo. Oder du überfällst eine Bank und die Bullen sind schneller da als erwartet. Das sind sehr reale Ängste. Und diese lebensbedrohlichen Ängste bewirken eine körperliche Reaktion, ohne dass wir darüber nachdenken müssen. Instinktiv machen wir einen Schritt zurück, damit der Bus uns nicht überfährt. Nachdem wir die Gefahr überstanden haben, meldet sich der Körper dann bei uns: Die Knie schlottern, das Herz rast, man ist schweißgebadet – vielleicht hat man sogar ein bisschen Pipi in die Hose gemacht. Oftmals lassen uns solche realen Gefahren auch im Nachhinein nicht los. Sie kann uns in Angsträumen verfolgen oder aber wir entwickeln eine Angst vor ähnlichen Situationen und schränken unser Leben ein.

In unserer immer komplexer werdenden Welt wird die Abgrenzung zwischen realer und nicht realer Angst immer schwieriger. Wie ordne ich meine Angst vor der drohenden Klimakatastrophe ein? Die Bedrohung ist sehr real (Ja, Donald, ist sie wirklich), aber es ist nicht gleichzusetzen mit einem hungrigen Löwen, der direkt vor mir steht. Die Trennung zwischen realer und nicht realer Angst ist also nicht immer möglich.

Angst vs. Furcht: Unterschiede und Definitionen

Angst, Furcht, Panik, Phobie, Paranoia – was’n da der Unterschied? Grundsätzlich unterscheiden wir zwischen Angst und Furcht (englisch: „anxiety“ und „fear“) und erinnern uns noch mal an die Unterschiede zwischen realer und nicht realer Gefahr. Schon im Alten Testament und in anderen Schriften aus der Antike werden die beiden Empfindungen beschrieben und unterschieden: Eines wird durch die „Erwartung eines bevorstehenden Übels ausgelöst“ und bei der anderen stehen „die körperlichen Befindlichkeiten und räumliche Dimension im Vordergrund„. Auf Deutsch heißt das also, dass Furcht eine Reaktion auf eine spezifische, beobachtbare, reale Gefahr ist. Angst hingegen ist die Reaktion auf eine diffuse, nicht greifbare und oftmals in der Zukunft liegenden, nicht realen Gefahr.

„Wer denkt, Liebe sei die stärkste Emotion, der hat noch nie richtig Angst gehabt.“

Anonyme Psychotherapeutin im Jahr 2019.

Aber Angst und Furcht haben auch einige Gemeinsamkeiten: Beide machen uns völlig narzisstisch und es fällt uns schwer, an unsere Mitmenschen zu denken. Sowohl bei der Angst als auch bei der Furcht wird unser Körper mit Stresshormonen geflutet, was uns in Alarmbereitschaft versetzt. Wenn wir akuter Furcht ausgesetzt sind, weil wir von unseren doofen Kumpels ins Löwengehege geschubst wurden, löst das eine Reihe an Reaktionen in uns aus: Unser Fight-or-Flight-Trieb (Kampf oder Flucht) setzt ein. Unsere Alarmbereitschaft steigt, der Stoffwechsel wird hochgefahren. Die Pupillen weiten sich, das Gehör wird schärfer. Unsere Sinneswahrnehmung läuft auf Hochtouren und weil unser Blut jetzt woanders gebraucht wird, erblasst unsere Haut und wir erscheinen kreidebleich. Im schlimmsten Fall erstarren wir, wie gelähmt. Furcht kann auch ansteckend sein. Denken wir einfach an die Loveparade in Duisburg. Die Furcht nicht aus dem Tunnel herauszukommen multiplizierte sich innerhalb weniger Minuten und löste das tragische Unglück aus, bei dem 21 Menschen ums Leben kamen.

Anxiety: Die Angst vor dem nicht greifbaren

Die Angst bedarf im Gegensatz zur Furcht keinen Trigger. Die Antizipation einer Bedrohung reicht schon, um in uns Angst auszulösen. So kann Angst uns dazu bewegen immer auf der Hut zu sein und potenzielle Bedrohungen in alles und jedem zu sehen. Und das ist ziemlich kacke. Bei einer Panikattacke, die symptomatisch für tiefergreifende Ängste sein kann, interpretieren wir körperliche Signale falsch, was eine Kettenreaktion in unserem Körper auslöst. Stell dir vor, du bist im Supermarkt und stehst vor dem Hafermilchregal und kannst dich, wie so oft, nicht zwischen Oatly, Kölln oder Alpro entscheiden. Plötzlich merkst du, dass etwas anders ist als sonst. Dass irgendetwas nicht ganz stimmt. Etwas hier ist merkwürdig. Du schaust dich um und erkennst nichts Ungewöhnliches. „Wenn hier alles normal ist, vielleicht stimmt dann mit mir etwas nicht“, denkst du dir. Auf einmal merkst du, dass dein Herz schneller schlägt als sonst. „Wieso hab‘ ich jetzt Herzrasen?“, fragst du dich und pathologisierst eine Körperempfindung, ohne groß darüber nachzudenken. „Vielleicht hab‘ ich heut zu wenig getrunken“, denkst du dir dann. „Aber vielleicht ist es auch was Ernstes. Hab‘ ich vielleicht was vergessen? Wieso zittern denn jetzt meine Hände. Fuck, scheiße. Was ist, wenn meine Eltern gerade tödlichen Autounfall hatten? Oder vielleicht sagt mir mein Körper, dass ich Krebs hab. Vielleicht haben wir alle Krebs von diesem gottverdammten Mikroplastik und 5G Funktürmen. Oh. Mein. Gott. Mir ist übel, ich glaub‘, ich muss kotzen. Wir werden alle sterben.“ Zu diesem Zeitpunkt rast dein Herz so schnell und schlägt dir schon fast die Zähne aus. Deine Knie schlottern, deine Hände zittern – nicht einmal der Gedanke an ein Glas kalter Hafermilch kann dich jetzt noch runterbringen. Entsetzen, Schrecken, Bedrohung – diese Gefühle werden bei einem falschen Alarm fälschlicherweise mit körperlichen Reaktionen, wie Herzrasen, Atemnot, Zittern, Magenverstimmungen und Muskelspannung assoziiert. Unser Angstsystem hat einen körperlichen Reiz fehlinterpretiert und so eine Reihe weiterer körperlicher Reaktionen ausgelöst.

Die Flugangst ist ein Beispiel für eine Angst vor einer nicht akuten Gefahr.

Kollektive Angst: Der beste Motivator für die schlimmsten Dinge

Ob eine Angst real oder nicht real ist, kann im ersten Moment egal sein. Egal woher die Angst stammt: Angst ist eine verdammt starke Emotion und ein verdammt guter Motivator. Rückblickend gibt es einige schreckliche Taten, die wir mit kollektiver Angst erklären können: Kreuzzüge, Hexenverbrennung, Klopapier Hamsterkäufe. Die Liste der Grausamkeiten ist lang und ich würde jetzt einfach mal behaupten, dass Angst der größte Motivator war, um große Massen des Volkes dafür zu mobilisieren. Angst lässt Menschen aus der Anonymität des Alltags herauswachsen; sie werden plötzlich miteinander vertraut und rücken zusammen. Eine Bedrohung – ob real oder nicht real – lässt „auf erstaunliche Weise die Menschen zueinanderfinden und übliche Kontaktschranken fallen„. Politikern, Diktatoren und anderen Arschlöchern ist dies bewusst und sie kreieren einen Feind, von dem sie behaupten, dass er Chaos und Untergang herbeiführen wird. Dies wiederum löst große Angst in weiten Teilen der Bevölkerung aus, die dann Geborgenheit suchen. Der Politiker inszeniert sich daraufhin als Retter in der Not, als sicherer Hafen, als barmherziger Vater: Er verspricht Sicherheit, Ordnung, Orientierung; wenn das Volk sich mit ihm verbindet. „Über die Angst wird zugleich ein Eltern-Kind-Verhältnis induziert, wobei der Ranghöhere sich mütterlich-väterlich, der Rangniedere sich kindlich-abhängig verhält„, erklären Psychiater.

Hinter den Gräueltaten stecken meistens geopolitische oder ideologische Ziele. Aber um die Massen zu mobilisieren, kreieren die Verfechter eine Angst im Volk, die dann als Motivator fungierte. Plötzlich legitimiert diese Angst Dinge, die man im Normalzustand nicht abnicken würde. Angst vor Gott; Angst vor dem, was man nicht versteht; Angst vor Fremden. Inmitten der Coronavirus-Pandemie wird es auch deutlich: Die Angst sich mit dem Virus anzustecken, legitimiert die drastischen Maßnahmen der Regierung. Von einen auf den anderen Tag werden unsere Grundrechte eingeschränkt und wir diskutieren über flächendeckende Überwachung mit Drohnen, Apps und anderen technologischen Gadgets. Ohne die Angst vor dem Coronavirus wären diese Diskussionen in Deutschland undenkbar und doch erfreuen sich die Maßnahmen großer Zustimmung.

Kleines Zwischenfazit: Angst ist vielseitig und so vielschichtig wie der Mensch selbst. Die Nomenklatur ist groß und es gibt in einige umstrittene Definitionen in der Wissenschaft. Manche ForscherInnen lehnen die Angst/Furcht-Differenzierung ab; andere wiederum unterscheiden sogar noch zwischen Angst, Furcht, Schrecken, Panik. Ein Grund für die unterschiedliche Herangehensweise ist die Interdisziplinarität der Angstforschung: Es sind nicht nur die PsychologInnen und die NeurowissenschaftlerInnen, die Angst untersuchen. Unzählige KulturwissenschaftlerInnen, TheologInnen, SoziologInnen und HistorikerInnen haben sich ebenfalls der Angstforschung verschrieben und erlangen wichtige Erkenntnisse. Und abgesehen von den legitimen und sachlich fundierten WissenschaftlerInnen gibt es natürlich auch Vollhonks wie mich, die das Thema populärwissenschaftlich aufarbeiten und daher zwangsläufig nicht so detailliert sein können.

Angst, Angstneurose und Phobien: Unterschiede und Symptome

Abgesehen von den kollektiven Ängsten – die von kalkulierenden Berufspolitikern gerne geschürt werden, um Wählerstimmenmaximierung zu betreiben – sind es individuelle Ängste und Phobien mit der sich die Psychologie am meisten beschäftigt. Doch was ist der eigentlich der Unterschied zwischen Angst, einer Angstneurose und einer Phobie? Im Lehrbuch „Angst“ von Holger Flöttmann erklärt der Psychiater: „Phobien werden Ängste genannt, die sich auf einen bestimmten Gegenstand oder ein Tier oder eine ganz bestimmte Situation richten. Die Angst tritt nur auf, wenn der Phobiker dieser Situation begegnet. Daher meidet er, sich der angsterregenden Situation auszusetzen.“ Bei einer Angstneurose hingegen kommt die Angst aus dem Nichts: „Bei der Angstneurose kommt aus bedrohlichen Vorstellungen heraus oder ohne erkennbaren Grund plötzlich Angst auf. Die Angst kann sich so weit steigern, daß sie als Todesangst erlebt wird. Die Angst tritt häufiger oder in größeren Abständen auf.

Um es kurzzufassen: Bei Phobikern tritt die Angst auf, sobald sie ihrem jeweiligen Nemesis begegnen. Und bei Angstneurotikern tritt die Angst random ein. Sowohl die Phobie als auch die Angstneurose erzeugen das Gefühl der Angst in den jeweiligen Personen. Hier eine Liste mit den häufigsten Phobien:

  • Agoraphobie: Angst vor weiten Plätzen
  • Klaustrophobie: Angst in engen Räumen
  • Erythrophobie: Angst vor dem Erröten
  • Zoophobie: Angst vor verschiedenen Tieren, z.B. Schlangen, Mäusen, Ratten, Käfern, Ameisen und Spinnen
  • Soziale Phobie: Angst im Umgang mit anderen
  • Dysmorphophobie: Zwanghafte Vorstellung, dass ein Körperteil verunstaltet ist
  • Prüfungsangst
  • Emetophobie: Angst vor dem Übergeben
  • Akrophobie: Höhenangst
  • Flugangst
  • Erstickungsangst
  • Krebsangst
  • Zahnarztangst
  • Angst vor der Dunkelheit
  • Angst vor Spritzen
  • Angst an einer Krankheit zu sterben
  • Angst an der Kasse zu stehen

Wie du siehst, ist die Liste an Ängste und Phobien endlos. Und auch wenn manche Ängste für Außenstehende nicht verständlich sind oder sogar zum Schmunzeln verleiten (du bist gemeint, Arachibutyrophobie), sind sie für Betroffene ziemlich beschissen. Personen, die unter Ängsten oder Phobien leiden, haben sehr unterschiedliche Symptome, zu denen wir gleich kommen werden.

Was passiert im Körper bei Angst? Änderungen im Verstand und im Körper

So unterschiedlich die Symptome von Angst sein können, lassen sie sich in drei grundlegende Kategorien unterteilen:

  1. Veränderung der Verstandesfunktion
  2. Veränderung der Körperfunktion
  3. Veränderung des Verhaltens

Angst macht was mit unseren Köpfen, so viel ist klar. Manche Personen werden so von der Angst überwältigt, dass sie ihren Verstand verlieren. Ein weniger dramatisches Beispiel sind schlechtere kognitiven oder intellektuellen Leistungen in einer Prüfung. Aber Angst kann auch zu völlig kopf- und sinnlosem Davonrennen bei einem Brand in einem Club führen, wobei sich Menschen zu Tode trampeln. Angst bohrt sich in das Bewusstsein und beeinflusst die Wahrnehmung und die Konzentration. Unser Gehirn rafft auf einmal gar nichts mehr. Statt unsere Umgebung möglichst realitätsgetreu wiederzugeben, sagt uns unser Verstand: „Flieht, ihr Narren“, und wir können Situationen nicht mehr richtig einschätzen. Bei akuten Psychosen werden Personen von einem Tsunami der Angst erwischt, was dazu führt, dass die Verstandsfunktion einfach erlöscht. Betroffene können nicht mehr zwischen der Realität und dem eigenen Unbewussten unterscheiden – die Außenwelt und die Innenwelt verschwimmen – und Betroffene verkennen Menschen und Situationen.

„Angst, die nicht genügend verdrängt wird, gelangt in das Bewußtsein und beeinflußt die Wahrnehmung und die Konzentrationsfähigkeit.“

Holger Bertrand Flöttmann, Angst (2015), W. Kohlhammer Verlag

Wer schonmal richtig Angst hatte, der weiß, dass sich Angst auch auf den Körper auswirkt. Und ja: Das Gefühl vor einer Prüfung dringend auf’s Klo gehen zu müssen, ist ein solches Symptom. Experten sprechen bei Angst von einem „psychosomatisches Geschehen“, da sich die Psyche auf den Körper auswirkt und es eine „seelische Erlebnisseite“ und eine „körperliche Manifestationsseite“ gibt. Die Art, die Häufigkeit und die Schwere der Symptome variieren von Person zu Person.

  • Allgemeine Reizbarkeit und Überempfindlichkeit
  • Leichte Mattigkeit, besonders in Armen und Beinen
  • Schwindel, Benommenheit, Taumel
  • Innere Unruhe
  • Müdigkeit, die sich bis zur Ohnmacht steigern kann
  • Schlafstörungen
  • Engegefühl im Hals
  • Brechreiz, Würgereiz, Übelkeit
  • Heißhunger
  • Mundtrockenheit
  • Schweißausbrüche
  • Vasomotorische Phänomene (niedriger Blutdruuck, Kältegefühl in den Gliedern)
  • Zittern an den Gliedern
  • Muskelkrämpfe
  • Muskelverspannungen
  • Kribbelgefühl
  • Herzschmerzen, Herzklopfen, Arrhythmie, Tachykardie
  • Störungen der Atmung (Hyperventilation)
  • Magenbeschwerden (Druckgefühl im Oberbauch)
  • Durchfall
  • Harndrang
  • Parametropathien (Unterleibsschmerzen bei Frauen)
  • Kopfschmerzen
  • Flatulenzen (Furzen, hihi)
  • Neurodermitis
  • Vaginale Pilzinfektion
  • Herpes

Wie Angst das Verhalten verändert

Angst kann den Verstand und den Körper tiefgreifend verändern. Schlussendlich führen diese Veränderungen dazu, dass wir unser Verhalten daran anpassen. Evolutionsbiologisch mag dies Sinn machen: Angst ist ein Gefahrensignal. Wenn ich Angst habe, muss ich flüchten oder angreifen. Ich fange an zu vermeiden oder ich werde aggressiv. Menschen, die Angst empfinden und diese überspielen, verhalten sich forsch, übermütig oder tollkühn. Sie versuchen durch Mut ihre Angst zu kompensieren. Andere wiederum flüchten vor ihrer Angst. Dies äußert sich meistens in einem Vermeidungsverhalten. Solche Personen entziehen sich der angstauslösenden Situationen und vermeiden potenziell gefährliche Orte. Bei Sozialphobikern führt dies zu einem Hermit-Lifestyle ohne Kontakt zu anderen Menschen.

„Der Artgenosse wird zum Fluchtziel, seine Nähe bedeutet Geborgenheit. Daher gelingt es über eine Angstmotivierung, die Bindung an ein Gruppenmitglied zu festigen . . . Bis zum Menschen hinauf ist die Angst eine starke verbindende Kraft geblieben.“

Eibl-Eibesfeldt, I.: Liebe und Haß, Piper – Co Verlag, München (1970)

Wenn wir nicht angreifen, flüchten wir an einen sicheren Ort. Meistens ist dies die Familie und insbesondere die Mutter. Sie ist ein „Hort der Zuflucht„, den wir bei Gefahr aufsuchen. Dies ist übrigens kein reines Homo-Sapiens-Phänomen: Andere höhere Wirbeltiere verhalten sich genauso und suchen in jungen Jahren Zuflucht bei der Mutter und später bei ranghohen Erwachsenen. Wenn es keinen ranghohen Erwachsenen gibt, dann suchen Paviane andere Artgenossen, an die sie sich klammern, bis die Angst überstanden ist.

Entstehung von Ängsten: Von der Kindheit bis ins Alter

Grundsätzlich wird bei Ängsten und Angstneurosen zwischen zwei Arten unterschieden:

  1. Ängste, die ihren Ursprung in der Kindheit haben.
  2. Ängste, die sich im Erwachsenenalter entwickeln.

Bestimmte Lebensumstände oder Situationen in der Kindheit, können das Entstehen von Angstneurosen begünstigen:

  • Einzelkind sein.
  • Als erstes oder als letztes Kind geboren werden.
  • Mit erheblichem Abstand zu den Geschwistern geboren werden.
  • Mit einer Behinderung geboren werden.
  • Kind steht als Ersatz für Ehepartner.
  • Ein Geschwisterteil stirbt.
  • Kind wird zum Großteil von Großeltern oder Tagesmutter erzogen.
  • Kind wird vernachlässigt.

Und was haben all diese Faktoren gemeinsam? Es geht immer um die Aufmerksamkeit, die Eltern ihrem Kind schenken oder auch nicht schenken. Einzelkinder, Erstgeborene oder behinderte Kinder erhalten oftmals mehr Aufmerksamkeit als Gleichaltrige. Kinder, deren Eltern nicht viel Zeit für die Erziehung aufbringen (können), erfahren dagegen geringere Aufmerksamkeit. „Doch was hat das alles mit Ängsten zu tun?“, fragst du dich jetzt vielleicht. Wie so vieles in der Psychologie hat unser Verhalten als erwachsener Mensch viel mit der Beziehung zu unseren Eltern zu tun. Wenn sich Eltern auf die Bedürfnisse ihres Babys einstellen, vermitteln sie Geborgenheit und Urvertrauen. Das ist mega wichtig für spätere Beziehungen und Partnerschaften des Kinds. Doch irgendwann kommt der Tag, an dem Eltern ihr Kind aus dem Nest stoßen müssen, wenn sie nicht wollen, dass ihr Kind mit Mitte 30 noch im Kinderzimmer World of Warcraft zockt. Bis zu dem Tag, an dem das Kind aus dem Nest gestoßen wird, lebt der kleine Mensch einen „infantilen Lebensstil„: Er muss sich um nichts kümmern und liegt im Schoß der Mutter, während der Vater die Familie beschützt. Doch dieser infantile Lebensstil ist nicht nachhaltig – und irgendwann muss das Kind dies realisieren. Wenn Eltern ihr Kind mit Aufmerksamkeit erdrücken, hindern sie die Autonomie, was sich im späteren Leben als Angstneurose äußern kann. Diese Beziehung zwischen Eltern und Kind wird in der Psychologie „Symbiose“ genannt.

Doch Ängste können nicht nur in der Kindheit entstehen. Bestimmte Situationen im Erwachsenenalter können das Entstehen einer Angstneurose begünstigen. Insbesondere Trennungssituationen scheinen uns Menschen so richtig zu schaffen zu machen.

  • Tod oder Krankheit eines Verwandten, Freundes, Bekannten
  • Auszug aus dem Elternhaus
  • Eingehen einer festen Freundschaft zum anderen Geschlecht
  • Verlobung, Heirat, Scheidung, Trennung
  • Ein Umzug
  • Prüfungen
  • Eine größere Reise
  • Beruflicher Aufstieg
  • Schwangerschaft

Angst: Entstehung, Symptome, Unterschiede

3000 Wörter später und wir haben noch nicht einmal über das Klarkommen mit der Angst gesprochen. Sorry, ich hab‘ mich ein bisschen in Rage geschrieben. Angst ist super komplex und ein mickriger Artikel kann dem Thema nicht gerecht werden. Aber um zu lernen mit einer Angst umzugehen, müssen wir sie erst einmal verstehen. Wir kennen jetzt unterschiedliche Arten von Angst, was Angst mit uns macht und wie Angst entstehen kann. Unsere nächsten Artikel befassen sich mit Themen, wie Umgang mit Angst, Vermeidung oder Alkohol bei Angst. An dieser Stelle möchte ich noch hinweisen, dass dieser Text keinen therapeutischen Anspruch hat. Angst kann eine richtig beschissene Sache sein und wenn du das Gefühl hast, nicht klarzukommen, gibt es Anlaufstellen, die dir helfen können.

mw

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