Angst und Behaviorismus: Das Little-Albert-Experiment – alles nur konditioniert?

Angst und Behaviorismus: Das Little-Albert-Experiment – alles nur konditioniert?
  • In der Psychologie gibt es verschiedene Theorien, die Angst erklären und der Behaviorismus ist eine davon.
  • Behavioristen, wie John Watson, sagen, dass Angst ein erlerntes Verhalten ist.
  • Im Little-Albert-Experiment untersuchte John Watson ein Säugling und führte fragwürdige Untersuchungen durch.

Das Little-Albert-Experiment ist eines der verruchtesten, durchgepeitschtesten aber auch berühmtesten Experimente der Psychologie. Vor so ziemlich genau 100 Jahren untersuchte der damalige Psychologie-Rockstar, John Broadus Watson, ob Angst ein erlerntes Verhalten bei Menschen ist. Dafür nahm er einen Säugling und führte an ihm ein Experiment durch, das – milde gesagt – ethisch fragwürdig war. Nichtsdestotrotz gilt John Watson als Begründer der Schule des Behaviorismus, die bis zum Ende des 20. Jahrhunderts den wissenschaftichen Konsens in der Psychologie bildete. Auch in der Psychotherapie ist der Behaviorismus nicht wegzudenken: Von Expositionstherapie bis hin zur kognitiven Verhaltenstherapie beruhen viele therapeutische Konzepte auf den Behaviorismus. Und das alles begann an einem verregneten, grauen Tag im London der 1920er, als Little Albert mit einer weißen Ratte spielen durfte.

Behaviorismus und Angst: Alles nur konditioniert?

Angst ist eine der grundlegendsten Emotionen des Menschen. Und obwohl Angst uns Menschen schon seit den good-old-days in der Steinzeit begleitet, ist die Angstforschung eine relative junge Disziplin. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war Sigmund Freud (auch bekannt als der „Weirdo von Wien“) einer der Ersten, der Angst systematisch untersuchte. Sein psychoanalytischer Ansatz erfreute sich zwar großer Beliebtheit, doch es dauerte nicht lang, bis ein neuer Forschungszweig das Thema Angst untersuchte und zu neuen Erkenntnissen kam.

In 1913 begründete der Psychologe John Broadus Watson die Schule des Behaviorismus. Im Gegensatz zu der vorherrschenden Schule der Psychoanalyse untersuchte Watson ausschließlich das Verhalten (english: behavior) des Menschen und nicht das Unbewusstsein. Für ihn war das Verhalten der einzige wissenschaftliche Aspekt, den Psychologen empirisch untersuchten konnten: Gedanken, Emotionen, Träume – lame. Diese Dinge kann man nicht messen, also eignen sie sich nicht als Grundlage einer Wissenschaft. Watson war der Meinung, dass alles Verhalten erlernt sei und schlussfolgerte, dass jedes Verhalten auch erlernbar sei. In einem berühmten Zitat erläuterte der Provokateur:

„Gebt mir ein Dutzend wohlgeformter, gesunder Kinder und meine eigene, von mir entworfene Welt, in der ich sie großziehen kann und ich garantiere euch, dass ich jeden von ihnen zufällig herausgreifen kann und ihn so trainieren kann, dass aus ihm jede beliebige Art von Spezialist wird – ein Arzt, ein Rechtsanwalt, ein Kaufmann und, ja, sogar ein Bettler und Dieb, ganz unabhängig von seinen Talenten, Neigungen, Tendenzen, Fähigkeiten, Begabungen und der Rasse seiner Vorfahren.“

John Watson: Behaviorism

Das Little-Albert-Experiment: Zusammenfassung

Im berühmt-berüchtigten Little-Albert-Experiment in 1920 wollte Watson zeigen, dass Angst ein erlerntes Verhalten ist – selbst die Angst vor dem Irrationalem. Um dies zu beweisen, nahm Watson den neun Monate alten Albert B., der Sohn einer Amme aus London und untersuchte seine Reaktion auf verschiedene Reize. Nach Angaben von Watson und seiner Assistentin (und späteren Frau) Rosalie Rayner war Little Albert vor Beginn des Experiments einer gesunder, glücklicher und molliger kleiner Junge. Zunächst zeigten sie Little Albert verschiedene Dinge, wie eine weiße Ratte, ein Hase, ein Hund, Baumwolle und Zeitungspapier und zunächst feierte Little Albert sein neues Spielzeug und reagierte positiv darauf.

Mehrere Wochen später zeigten Watson und Rayner Little Albert wieder die weiße Ratte. Aber dieses Mal ballerte Watson mit einem Hammer an ein Stahlgitter und verursachte einen ohrenbetäubenden Lärm, sobald Little Albert die weiße Ratte berührte. Im Verlauf der nächsten Wochen realisierte Watson, dass Little Albert jetzt Angst vor der weißen Ratte hatte – selbst wenn er nicht mit seinem Hammer auf das Stahlgitter schlug und Lärm machte. Doch nicht nur das: Albert hatte plötzlich auch Angst vor anderen Objekten, die der weißen Ratte ähnelten. Der Hase, eine weiße Maske oder sogar Watsons weiße Haare verängstigten jetzt auch Little Albert.

Watson und Rayner benutzen den Begriff der „Konditionierung“, um das Erlernen einer Angst vor einem ungefährlichen Objekt zu beschreiben. Bei der Konditionierung nahmen sie ein ungefährliches Ding (z.B. weiße Ratte) und koppelten diesen an einen beängstigenden Reiz (z.B. lauter Hammerschlag). Watson sah das Little-Albert-Experiment als Beweis, dass alle Ängste das Ergebnis von Konditionierung seien und dass wir unsere Ängste in unserer Kindheit erlernten. Watson erklärte, dass alle Phobien und irrationalen Ängste des Menschen „konditionierte emotionale Reaktionen“ auf bestimmte Reize seien. Tragischerweise verstarb Little Albert im zarten Alter von sechs Jahren an den Folgen eines Herzinfarkts, den er beim Kinofilm „Stuart Little“ erlitt. Just kidding: Er starb wegen einer unbehandelten Hydrocephalus – ein Klassiker in den 20ern.

Behaviorismus und Angst: Grenzen und Nutzen

In den Jahren nach dem Little-Albert-Experiment wuchs und entwickelte sich der Behaviorismus. Der Psychologe O. H. Mowrer postulierte, dass Angst und insbesondere der Wille Angst zu vermeiden, ein treibender Faktor des menschlichen Verhaltens sei. Grob gesagt: Wenn der Effekt positiv ist, lernen wir das Verhalten zu wiederholen. Wenn der Effekt negativ ist, lassen wir es in Zukunft bleiben. Wir wissen, dass es verdammt nochmal weh tun würde, wenn in den Gegenverkehr laufen und uns ist bewusst, dass wir uns dabei höchstwahrscheinlich vor Angst in die Hosen machen würden. Also passen wir auf und laufen nicht auf die Straße, ohne vorher zu gucken. Diese Annahme erklärt auch irrationale Angst ziemlich gut: Wenn wir Flugangst haben, betreten wir kein Flugzeug, da wir Angst vor dem Fliegen haben. Dadurch werden wir nie mit unserer Angst konfrontiert und das hat einen Rückkopplungseffekt mit unserer Psyche: Die Angst erhärtet sich.

Und so kommen wir zum ganz großen Nutzen des Behaviorismus: Der Expositionstherapie bei Angst(störungen). Diese Art der Therapie (auch als Konfrontationstherapie bekannt) baut auf den theoretischen Annahmen des Behaviorismus auf und versucht durch Konfrontation mit der eigenen Angst, diese zu lindern. Die TherapeutischeFachkraft konfrontiert ihre ZubehandelndePerson mit ihrer Angst – ob Schlangen, Höhen oder Spinnen – und diese lernt dann, dass sie eigentlich nichts zu befürchten hat. Daraus hat sich auch die am weitesten verbreitete Psychotherapie (kognitive Verhaltenstherapie) entwickelt, die auch auf den Konzepten des Behaviorismus beruht.

Doch der Behaviorismus hat auch klare Grenzen. Wie erklärt er, dass nur manche Personen nach einem Hundebiss panische Angst vor Hunden entwickelen und andere weiterhin Cesar Milan feiern? Warum entwickeln manche Phobien vor Situationen, in denen sie sich nie befunden haben? Wieso haben wir Angst vor Spinnen oder Schlangen, obwohl die gefährlichste Schlange hier in Europa, die Schlange vor dem Pfandautomat im Kaufland ist? Der Behaviorismus hat sehr viel beigetragen in der Angstforschung und in der Angsttherapie, trotzdem gibt er keine holistische Erklärung für Angst. Heutzutage wird die Schule der Kognitionspsychologie als relevanteste Erklärung für Angst angesehen und ist der Stand der Dinge in der modernen Psychologie, während die neurowissenschaftliche Sichtweise erklärt, was bei Angst im Gehirn passiert.

mw

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