Angst in der Kognitionspsychologie – Warum sind manche Personen ängstlich und andere nicht?

Angst in der Kognitionspsychologie – Warum sind manche Personen ängstlich und andere nicht?
  • Angst ist eine grundlegende Emotion des Menschen.
  • In der Psychologie gibt es verschiedene Ansätze, die Angst erklären.
  • Anders als die Psychoanalyse oder der Behaviorismus untersucht die Kognitionspsychologie die Interpretation von sensorischen Reizen.

Es ist lauer Sommerabend. Du läufst nach Hause und dank der globalen Erderwärmung kannst du ganz gemütlich mit Shirt und Flipflops nach Anbruch der Dunkelheit draußen sein, ohne zu frösteln. Es hat sowas: mediterranes. Und so läufst du in Gedanken und ein bisschen beschwipst von der Grillparty mit deinen Besten, als du plötzlich Schritte hinter dir hörst. Zunächst registrierst du sie gar nicht und träumst schon von einem Olivenbaum auf deinem Balkon. Doch nach und nach sind die Schritte nicht überhörbar und sie kommen definitiv näher und sie sind schneller als du.

Unbewusst läufst du auch etwas schneller; willst aber nicht zu schnell laufen, um unnötige Aufmerksamkeit zu vermeiden. Doch die Schritte, deren Auftritte durch die sonst menschenleere Straße hallen, kommen näher. „Oh mein Gott“, ist dein erster Gedanke. „Wer ist das? Was passiert hier?“ Du verspürst Bedrohung; deine Gedanken kreisen und die einzig plausiblen Szenarien sind: Vergewaltigung, Raub oder ein sinnloser Gewaltakt einer psychisch gestörten Person, die sich an der Menschheit rächen will und dich als symbolisches Opfer auserkoren hat. Dein Herz schlägt schneller, du greifst zum Handy und wählst schon mal 110. Du versuchst dich an die Worte deines Vaters zu erinnern als er dir erklärte, wie du das Pfefferspray in deiner Handtasche im Ernstfall benutzt, als du vor Jahren in die Großstadt gezogen bist – du hast Angst. Die Schritte sind mittlerweile dicht hinter dir und du kannst schon förmlich den Atem des Creeps im Nacken spüren, doch die Angst hindert dich umzudrehen und die Gefahr zu konfrontieren. Du bist kurz davor zu schreien, wegzurennen, dein Pfefferspray zu zücken, als plötzlich ein nerdiger, gut gekleideter, kleiner Mann an dir vorbeiläuft; Blick fest im Smartphone und Kopfhörer auf. Er läuft an dir vorbei, ohne dass er vom Bildschirm aufschaut und die kleine Episode geht vorbei und du verspürst Erleichterung.

Kognitionspsychologie: Die Theorie hinter der modernen Psychologie

Doch wieso verkennen wir Menschen solch banalen Situationen? Wieso reagiert eine Person A, wie im Beispiel, und eine Person B, die sich in der gleichen Ausgangssituation befindet, verspürt keine Angst, wenn sie Schritte hinter sich hört? Wieso interpretieren wir sensorische Reize so unterschiedlich und wieso führt sie bei Person A zu Angst und bei Person B löst sie keine erkennbare Reaktion außer Gleichgültigkeit aus? Eine Erklärungsgrundlage liefert die Kognitionspsychologie.

Nach der psychoanalytischen Schule des 19. Jahrhunderts dominierte die Schule des Behaviorismus die Hörsäle psychologischer Fakultäten bis weit ins 20. Jahrhundert. Anhängerinnen des Behaviorismus waren davon überzeugt, dass sich die Psyche des Menschen nur anhand des Verhaltens untersuchen lässt. Gedanken, Denken und alles was eine außenstehende Person nicht beobachten konnte, wurden nicht untersucht. Doch die sogenannte „kognitive Revolution“ in den 50ern und 60ern verdrängte behavioristische Ansätze und wollte grundlegende Prozesse hinter dem Denken identifizieren und verstehen.

Zeitgleich mit der „kognitiven Revolution“ boomte ein anderer Bereich der Wissenschaft: die Informatik. Und die Informatik verhalf der Kognitionspsychologie auf die Sprünge, als sie noch in ihren Anfangsschuhen steckte: Das Gehirn empfängt sensorische Information, welche dann durch eine Reihe von binären ja/nein Stufen durchlaufen und eine gewisse Reaktion hervorrufen. Heutzutage ist die Kognitionspsychologie weiter. Statt linearen Ablaufplänen steuern neuronale Netzwerke im Gehirn unsere Psyche. In der modernen Psychologie ist die Kognitionspsychologie der dominante Forschungszweig und wird mit vielen neugewonnen Informationen aus der Neurowissenschaft gespeist.

Angst in der Kognitionspsychologie: Die Interpretation von Ereignissen

Doch wie erklärt die Kognitionspsychologie Angst? Die wesentliche Erkenntnis liegt in der sogenannten „Bewertung“ einer Situation. Zunächst kann diese Bewertung unbewusst ablaufen und wir stempeln sie als „Intuition“ oder „Bauchgefühl“ ab. Unsere Sinne funktionieren wie ein Frühwarnsystem: Sie erkennen etwas, was potenziell wichtig sein könnte und leiten diese Information an das rationale Teil unseres Gehirns weiter, wo die Informationen verarbeitet werden. Sobald wir eine Bedrohung erkennen, von der wir denken, dass wir sie nicht handeln können, verspüren wir Angst. Die letzten Schritte – also die Verarbeitung und die Interpretation – hierbei sind die wichtigsten.

Nehmen wir unser Beispiel von oben: Person A läuft im Dunkeln nach Hause, hört Schritte hinter sich und verspürt Angst. Person B ist in der gleichen Ausgangssituation und läuft im Dunkeln nach Hause, hört Schritte hinter sich – doch verspürt keine Angst. Es ist nicht das Ereignis an sich, was Angst in uns auslöst, sondern viel mehr unsere Interpretation des Ereignisses. Und solch ein Ereignis ist nicht auf die Außenwelt beschränkt: Bei einer Panikattacke wird oftmals ein physisches Empfinden – ein Engegefühl in der Brust oder das Gefühl nicht mehr atmen zu können – als Symptom einer schwerwiegenden Erkrankung interpretiert. Diese Angst wiederum löst eine Kaskade von weiteren Empfindungen aus und mündet in einer Panikattacke – und bevor du überhaupt merkst, wie dir geschieht, liegst du hyperventilierend in Embryonalstellung an der Supermarktkasse. Auch bei solchen internen Ereignissen, ist es die Interpretation von sensorischen Reizen, die maßgeblich die Reaktion bestimmt.

Angststörungen in der Kognitionspsychologie

Und warum ist Person A so eine Schisserin und Person B könnte seelenruhig durch die Leipziger Eisenbahnstraße bei Nacht laufen? Kognitionspsychologinnen sagen, dass Vorurteile, Ideen und Gedankenmuster maßgeblich sind und Grundannahmen (englisch: schematic beliefs) prägen. Aaron T. Beck, der als Begründer der kognitiven Verhaltenstherapie gilt, postulierte, dass diese Grundannahmen durch unsere Lebenserfahrung geformt werden und sie so tief in unserer Psyche verankert sind, sodass wir sie meist nicht einmal erkennen.

Diese kognitiven Schemata sind allerdings nicht unbedingt schlecht: Ohne sie könnten wir nicht schnell auf Situationen reagieren. Aaron Beck fand aber heraus, dass Menschen mit Angststörungen oftmals nutzlose Grundnahmen von sich, der Außenwelt und der Zukunft haben.

  • „Es ist schlau, immer das Schlimmste zu erwarten.“
  • „Überall lauert Gefahr und ich muss dafür gewappnet sein.“
  • „Ich bin der Gefahr ausgeliefert.“
  • „Ich muss in Kontrolle sein.“

Ganz schön anstrengend, so durch’s Leben zu gehen. Und das Problem bei der Sache ist, dass wenn eine Person so denkt, sie Coping-Mechanismen entwickelt und unangenehmen Situationen aus dem Weg geht. Solch ein Sicherheitsverhalten (englisch: safety behaviors) hat viele Facetten: Alkohol trinken; Referate vermeiden; nur mit Freunden auf eine Party gehen; unauffällig kleiden; Zurückhaltung oder sich nie solchen unangenehmen Situationen aussetzen. Und wenn eine Person solche Situationen immer aus dem Weg geht und vermeidet, wird sie niemals mit ihrer Angst konfrontiert und erfährt niemals, dass diese Angst unbegründet ist, was wiederum die Angst verstärkt. Ein ekelhafter Teufelskreis.

Peace.
MW

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